Worum gehts eigentlich beim Fernwandern?
Oder besser:
Worum gehts eigentlich MIR beim Fernwandern?
Inzwischen trage ich mich seit etwas mehr als einem halben Jahr mit dem konkreten Gedanken meiner allerersten Fernwanderung, ich habe einige Kontakte geknüpft, viel gelesen, einiges gehört und unglaublich viel gelernt. Ich habe einiges an Ausrüstung getestet und ein paar von den wichtigsten Dingen (Schuhe, Socken, Rucksack) definitiv beisammen und mir sehr viele Gedanken über den eigentlichen Weg gemacht.
Zu Beginn des Prozesses stand klar ein Ziel im Fokus. Ich rechnete viel: In soundso vielen Tagen sind soundso viele Kilometer möglich, ich machte mir Gedanken zu Ruhetagen und Leistungskilometern und begann Ziele abzustecken, die sich in 26, 28 oder 30 Tagen erreichen lassen. Und ich hatte den Traum, von zu Hause irgendwo ans Meer zu wandern, weil ich es mir unglaublich emotional vorstellte, zum Abschluss der Reise mit den Füssen im Wasser zu stehen.
Doch ein Gedanke liess mich nie los: Warum mache ich das eigentlich?
Mit der Zeit nahm die Fragen zu: Was ist mein ganz persönliches Ziel? Warum opfere ich mehrere Wochen Urlaub für eine Wanderung? Was will ich vor allem erzählen, wenn ich zurückkomme? Und warum diese Leistungsoptimierung?
Ich habe erstmals in meinem Leben die Möglichkeit, eine längere Zeit völlig selbstbestimmt zu gestalten. Will ich da wirklich in einen Wettbewerb mit mir selber treten?
Je länger ich darüber nachdachte, verfestigten sich in meinem inneren drei Punkte, die meine Sicht auf die Wanderung sehr veränderten:
- Achtsamkeit
Meine erste grosse Wanderung wird definitiv den Charakter einer Pilgerreise haben. Beim Pilgern geht es nicht in erster Linie darum, ein Ziel zu erreichen, sondern vielmehr um die Reise selbst – nämlich unterwegs jeden Schritt, jede Wendung, jeden Augenblick ganz bewusst zu erleben. Und das möchte ich für mich so empfinden. - Spiritualität
Was mich reizt, sind auch die spirituellen Aspekte des Wanderns: Gehen ist eine der meditativsten Handlungen überhaupt. An diesen Punkt zu kommen, einfach einen Fuss vor den anderen zu setzen, während der Geist losgelöst im Gebet oder in der Meditation verweilt, ist von der inneren Haltung her nicht vereinbar, mit dem schon fast kompetitiven Erreichen wollen eines Ziels. - Zeit
Trotz der begrenzten Zeit, die mir zur Verfügung steht, möchte ich ohne Zeitdruck wandern. Ich möchte in der Lage sein, jeden Tag von neuem zu gestalten. Und wenn ich an einem Tag nach zehn Kilometern das Gefühl habe, heute ist genug, dann möchte ich die Freiheit haben, das Lager aufzuschlagen und zu bleiben. Das Streben nach einem Ziel, das ich innerhalb einer bestimmten Zeit erreichen will, macht dies unmöglich.
Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, für meine Reise kein Ziel festzulegen. Ich werde mich in den nächsten Wochen mit der Frage nach dem Weg beschäftigen, aber nur den Start festlegen und von da losgehen. Der ganze Rest wird dann folgen.
Ich bin zuversichtlich, dass es weitere Wanderungen geben wird: Und zweifellos wird es dann auch Wanderungen mit einem klaren Ziel geben - denn das reizt mich ungemein.
Und wer weiss: Irgendwann werde ich vielleicht auch mal ans Meer gehen. Aber für diese erste Reise ist für ich der Weg das Ziel.
Und zwar in aller Konsequenz.